Glauben? Und dann?
Seit einigen Monaten gehe ich in die Kirche und suche die Nähe zu Gott. Dadurch hat sich einiges in meinem Leben geändert.
Foto: Christian Thiele
Mein öffentliches Bekenntnis zum Christentum rief einige Diskussion hervor - wenig überraschend in einer Zeit, in der die Menschen massenhaft aus den Kirchen austreten und gerade die katholische Kirche heftig in der Kritik steht. Jede kritische Frage, ja selbst jede Anfeindung und jeder Versuch, sich über mich und meinen Weg lustig zu machen, fordert mich heraus, darüber nachzudenken, warum ich es eigentlich tue; und warum ich nicht, wie in all den Jahren davor, nach einigen netten Gefühlen wieder den Kopf anschalte, der den Glauben ausschaltet. Warum bleibe ich dieses Mal dabei?
Seit dem letzten Frühjahr hat sich etwas grundlegend geändert, ich habe mich geändert. Alles begann damit, dass sich in einer katholischen Kirche mein Herz öffnete. Danach machte ich mich auf die Suche nach Worten; ich habe gelesen, nachgedacht, geredet, herausgefunden, recherchiert, gefragt und geschrieben. Ich habe gearbeitet, um zum Glauben zu kommen. Bei einem kurzen Klosteraufenthalt sprach ich mit einer Schwester darüber, dass mein Kopf so domininant ist und ich befürchtete, dass er mir durch den Drang, alles genau verstehen zu wollen, im Weg steht. Sie antwortete: “Der Verstand ist auch wichtig, wenn es um Gott geht.” Das war mir völlig neu, ich hatte den Glauben immer als pure Emotion, als losgelöst vom Verstand betrachtet. Doch so - das habe ich nun gelernt - ist es eben nicht.
In seinem Roman Der Herr der Welt, in dem ein humanistischer Messias erscheint, der die katholische Kirche vernichten will, beschreibt Robert Hugh Benson die Gedanken eines Kardinals:
Schwierigkeiten? Nun, die gab es zu Tausenden. Er konnte weder verstehen, warum Gott die Welt so geschaffen hatte, wie sie war, noch, dass die Hölle von der unendlichen Liebe geschaffen sein sollte, noch dass Brot in den Leib Gottes verwandelt werden konnte - aber es war nun einmal so. Einstmals hatte er geglaubt, die göttliche Wahrheit könnte mit dem Verstand bewiesen werden. Jetzt aber hatte er eingesehen - er wusste selbst nicht wie -, dass das Übernatürliche das übernatürliche Selbst voraussetzt, der äußere Christus den inneren Christus, dass die reine menschliche Vernunft die Glaubensgeheimnisse zwar nicht widerlegen, aber auch nicht beweisen kann, dass der Geist Gottes sich mehr an den moralischen als an den intellektuellen Menschen wendet. Was er einst gelernt und gelehrt hatte, das wusste er jetzt, nämlich, dass der Glaube, der wie der Mensch einen Körper und einen Geist hat - einen historischen Ausdruck und eine innere Wahrheit -, einmal durch das eine, dann durch das andere spricht. Dieser Mensch glaubt - weil er einsichtig ist -, er nimmt die Menschwerdung Christi oder die Kirche als sichtbare Tatsachen hin, jener Mensch - in dem Bewusstsein, dass diese Dinge geistiger Natur sind - glaubt sie auf die Autorität derjenigen hin, die sie verkündet und auf Erden verwirklicht, und lässt sich in diesem Glauben nicht irremachen. Und schließlich wird auch er sehen, weil er geglaubt hat.
Es ist weder möglich, Gott mit dem Verstand zu erfassen, noch zu beweisen. Es gibt Menschen, die folgen, weil sie es gelernt haben und dann eben jene, die ihm nahe gekommen, vielleicht sogar begegnet sind. Man hört von solchen Geschichten oft im Zusammenhang mit Nahtoderfahrungen. Eine Kollision mit Gott ist schwer zu beschreiben, weil die meisten Menschen sich nicht vorstellen können und wollen, dass so etwas überhaupt möglich ist. Die Essenz einer solche Begegnung ist das Gefühl. Und das bringt einen Menschen vielleicht auf einen neuen Weg.
Mich schüttelte es damals in der Kirche regelrecht. Da war etwas, was mich zutiefst berührte und allein das machte es für mich lohnenswert, mir das näher anzusehen. Dann kam das Forschen, das Verstehenwollen und ich fand in den Texten religiöser und heiliger Menschen Anweisungen für das Leben. Franz von Assisi lehrte mich, dass Eitelkeit in Menschenliebe verwandelt werden kann, von Bonhoeffer lernte ich den Sprung in den Glauben. Die Geschichte von Paulus zeigte, dass Umkehr immer möglich ist und Maximilian Kolbe inspirierte mich dazu, heilig sein zu wollen.
Und dort begann die Veränderung: Wer heilig sein will, muss Gott gefallen. Gott, den ich manchmal akzeptieren kann und trotzdem ständig in Frage stelle. Der Sprung in den Glauben, wie es Bonhoeffer bezeichnet hat, lässt mich ja nicht auf festem Boden landen, sondern ermöglicht mir nur, Ihn nicht ständig zu hinterfragen und mich auf Ihn einzulassen. Der Wille, Gott gefallen zu wollen, richtet das Leben auf einen neuen Fixpunkt aus. Die Umgestaltung verlangt ständige Entscheidungen, die ich mit dem Verstand treffen muss, weil ich im Christsein nicht geübt bin. Jeder Tag, jede Tat, jeder Gedanke wird zum Gegenstand einer Betrachtung unter christlichen Gesichtspunkten. Schreibe ich z.B. einen gehässigen Tweet, bekomme ich inzwischen ein schleches Gewissen, denn das mag zwar witzig sein, aber es ist eben unchristlich und hat nichts mit Liebe zu tun. Ich kann es trotzdem nicht sein lassen. Noch nicht.
Christ sein bedeutet, den Menschen zu lieben. Versuch das mal im Büro mit den Kollegen, die du nie leiden konntest. Sei nett zu den nervigen Eltern im Klassenchat und bedanke dich höflich bei einem unfreundlichen Rezeptionisten. Das ist harte Arbeit, die aber mit jedem Mal leichter wird. Man kann das Lieben trainieren.
Wenn ich jetzt Christin werde, dann reicht es nicht aus, sonntags in die Kirche zu gehen, eine Kerze anzuzünden und etwas in die Kollekte zu schmeißen. Sondern ich muss, ich will in meinem Alltag christlich sein. Die Besuche der Heiligen Messe sind ein Rankgitter, das immer wieder erinnert, auf die Basis zurückbringt und den Kontakt zu anderen Gläubigen ermöglicht, die eine Gemeinschaft bilden. Das ist logistischer und zeitlicher Aufwand, vor allem, wenn der Rest der Familie lieber lange frühstücken will und keinen Sinn für meine neue Mitte hat. Doch die eigentliche Arbeit ist der Alltag. Wie soll ich christlich leben, wenn ich keine Zeit habe, jeden Tag die Welt zu retten?
Ansprüche runterschrauben! Es geht nicht darum, Märtyrer zu sein. Oder anders: Die Martyrien des Angestelltenlebens und der Mutterschaft zählen auch.
Josemaría Exscrivá de Balaguer hat in drei kleinen Büchlein Gedanken für ein Leben aufgeschrieben, das sich an Gott richtet. In Der Weg schreibt er:
Verschiebe deine Arbeit nicht auf morgen.
Keine neue Weisheit, klar, aber wenn man definiert, warum und für wen man dieser Anweisung folgt, wird der Ausspruch zur Verpflichtung. Es gibt Aufgaben, die müssen erledigt werden, weil ein Mensch, nennen wir ihn Boss, es einfordert. Viele Verpflichtungen jedoch könnten auch aufgeschoben werden. Das Aufräumen des Hauses, das Mähen des Rasens, die Beschäftigung mit dem Kind, das seit einer Stunde fernsieht, das Schreiben dieses Textes. Da ist niemand, der mich ernsthaft sanktioniert, wenn ich es nicht mache und niemand der mich lobt, wenn ich alles erledigt habe. Wenn ich aber akzeptiere, dass eine höhere Instanz erwartet, dass ich tue, was getan werden muss (und das weiß ich ganz genau), dann werde ich mir selbst zum Richter, dann komme ich voran. Denn was ich heute erledigt habe, raubt mir morgen nicht mehr die Zeit. Der Lohn ist die eigene Freude und Entlastung und irgendwann vielleicht das Ewige Leben, doch soweit bin ich noch lange nicht.
Der kanadische Psychiater Jordan Peterson antwortet auf die Frage, ob er an Gott glaubt, dass er versucht, so zu leben, als ob es Gott gäbe. Man stelle sich vor, dass würden die Menschen im Westen alle mal für einen Monat tun, vier Wochen nach den 10 Geboten leben und handeln. Würde die Welt dann anders aussehen? Ich denke schon.
Das erste Gebot
Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.Das zweite Gebot
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.Das dritte Gebot
Du sollst den Feiertag heiligen.Das vierte Gebot
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.Das fünfte Gebot
Du sollst nicht töten.Das sechste Gebot
Du sollst nicht ehebrechen.Das siebte Gebot
Du sollst nicht stehlen.Das achte Gebot
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.Das neunte Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.Das zehnte Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat.
Fortsetzung folgt …
Erwähnte und angedeutete Bücher in willkürlicher Reinfolge:
Josemaría Escrivá - Der Weg, Die Spur des Sämanns, Im Feuer der Schmiede
Martin Beheim-Schwarzbach - Paulus: Der Weg des Apostels
Alois Prinz - Dietrich Bonhoeffer: Sei frei und handle!
Henri Walter - Der Pelikan: Ein Maximilian Kolbe Roman
Julian Green - Bruder Franz: Der Heilige aus Assisi
Robert Hugh Benson - Der Herr der Welt